Zwei Machthaber
Es ist Freitag früh, kurz nach Sieben. Es klopft. Er ist genervt: kann man nicht mal in Ruhe sein Frühstück essen? Der Sekretär: „Tut mir leid, Herr Präfekt, es ist dringend! Irgendsoeiner soll verurteilt werden. Ihr seid doch Richter!“ Pilatus steht auf; zehn Jahre lang ist er der Statthalter des Kaisers in Israel. Ein Machthaber, wie er im Buche steht – wenn nötig, greift er hart durch. Er ist die letzte Instanz bei Prozessen, der oberste Richter. – Bald schon steht er einem Gefangenen gegenüber. Gefährlich sieht der nicht aus! Draußen machen Ankläger Druck: „Er behauptet, König der Juden zu sein. Ein Aufrührer, weg mit dem!“ Ein durchsichtiges Manöver: die Hohen Familien aus Jerusalem wollen den Mann durch seine Hand umbringen lassen. Pilatus versucht zu verstehen: wen hat er da vor sich?
Jesus steht vor dem Statthalter, sein Leben liegt in Pilatus´ Hand. Aber er macht keinen Versuch, sich zu verteidigen, sich zu retten. Er ist bereit zu sterben. „Ja, ich bin ein König!“ sagt er. Pilatus ist auf einmal hellwach: also doch ein Aufrührer? Mit solchen Verrückten macht er kurzen Prozess! Jesus fährt fort: „Aber mein Reich ist nicht von dieser Welt. Ich bin der König der Wahrheit.“ Jetzt wird Pilatus auf einmal unsicher; dieser Mann ist anders als die anderen…
Pilatus könnte jetzt Gott kennenlernen, sein Reich und seine Wahrheit. Aber er erkennt nicht, dass der König und Richter der Welt gerade vor ihm steht. Ein König von einem Reich, das nicht von dieser Welt ist? Was soll das sein? Ein König der Wahrheit? Was ist schon Wahrheit? Sowas ist ihm noch nie begegnet… Viermal versucht er, den Gefangenen zu retten – und scheitert. Am Ende verurteilt er Jesus zum Tod am Kreuz. Pilatus – eine tragische Figur.
Es gibt Momente im Leben, in denen wir Jesus begegnen. Wenn wir dem König und Richter gegenüber stehen (so wie Pilatus), werden wir ihn dann erkennen? Sind wir ihm gewachsen? Oder werden wir uns selbst überschätzen, und Jesus für schwach und nebensächlich halten? Trump und Putin, Erdogan und Xi Jinping – solche Machthaber kennen wir gut; und wir fürchten sie... Aber sie verblassen alle neben diesem, der vor Pilatus steht. Jesus passt in kein Muster: ein König, der gekreuzigt wird. Der für die Wahrheit einsteht – kein Herr der Lügen. Ein Richter, der befreit. Einer, der stirbt, um seine Freunde zu retten.
Zwei Machthaber begegnen sich: Pilatus, stolz auf seine Macht, der knallharte Tatmensch. Und Jesus, der unkonventionelle Machthaber, der sterben wird, damit ich lebe. Welchem von beiden werde ich folgen?
(Sie finden das Verhör vor Pilatus im Johannes-Evangelium, Kapitel 18, Vers 28 bis Kapitel 19, Vers 5)
Henning Behrends, Pastor in Detern