„De een sien Uhl, is de anne sien Nachtigall.“ Diese ostfriesische Weisheit fällt mir ein, während ich beim Herbstspaziergang meinen Gedanken nachhänge.
Den Herbst nehmen Menschen ja auch ganz unterschiedlich wahr. Da lieben die einen es, wenn die Sonnenstrahlen auf das bunte Laub an den Bäumen fallen. Wie wunderbar das aussehen kann! Die anderen sehen eher die Arbeit, die Laub bedeutet, wenn es alsbald von den Bäumen fällt.
Auf viele Menschen wirkt der Herbst eher bedrückend: Das Grau hängt oft schwer am Himmel. Dunst und Nebel setzen den Blicken Grenzen. Andere können der manchmal „kleinen Welt“ des Herbstnebels auch ganz schöne Seiten abgewinnen.
Eine Spaziergängerin, die ich treffe, meint: „Ist das nicht schön, wie im Herbst die Kühe morgens aus den Wolken luschern?“ Als ich etwas verdutzt gucke, erklärt sie, dass Bodennebel ja nichts anderes sei als auf dem Boden liegende Wolken. Das war mir bislang gar nicht klar …
Während ich weitergehe, kreisen meine Gedanken um den bevorstehenden 9. November. Er steht in besonderer Weise für ganz unterschiedliche Ereignisse und Empfindungen.
Zum einen gedenken wir der vielen Opfer der Reichspogromnacht von 1938. Synagogen verbrannten in dem von den Nazis geschürten Hass. Erschreckend, wie aktuell die Aufgabe heutzutage wieder ist, den Anfängen zu wehren und zu betonen: Nie wieder!
Ganz anders der 9. November 1989: Die Mauer in Berlin fällt, Menschen rennen unter Freudentränen in die Freiheit, ohne dass ein Schuss fällt. Welch ein Geschenk!
Welch eine Aufgabe aber auch bis heute, Mauern zwischen Menschen immer wieder abzubauen...
Während ich weitergehe durch die Wolken und das Laub unter den Füßen knirscht, fällt mir ein weiterer Spruch mit einem Vogel ein: „Er gibt den Müden Kraft und Stärke genug den Unvermögenden. Die auf den Herren harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“
Ob nun Uhl oder Nachtigall oder Adler: Möge Gottes Kraft uns beflügeln, trösten, Halt und Mut zum Handeln schenken, nicht nur im Herbst.
Heino Dirks, Pastor in Völlen