Es geht so schnell. Ich räume die Spülmaschine ein, Teller für Teller, Tasse für Tasse. Dann sehe ich ein Aufleuchten auf meinem Handy. Ich bin abgelenkt. ZACK! … fällt mir etwas aus der Hand. Wir haben Fließenboden. Scherben sind also unvermeidlich. Ausgerechnet meine Lieblingstasse. So viele Erinnerungen hängen daran. So viele Umzüge, die sie überstanden hat. Und jetzt klafft da dieses riesige Loch. Ein großer Splitter ist herausgebrochen und die Risse gehen noch tiefer.
Bei diesem Anblick passiert etwas in mir. Denn er lässt mich nachdenken und in Erinnerungen schwelgen. Ja, das ist nur eine Tasse. Und doch ist sie wie ein Sinnbild für das Leben.
Das Leben läuft mal gut, manchmal richtig schlecht, oft nebenher. Manchmal können wir jeden Moment genießen. Und dann überrollt es uns fast und wir fragen uns, wo eigentlich die Zeit geblieben ist.
Wir sammeln Erinnerungen an jedem Ort, an dem wir sind. An viele denken wir gerne zurück, andere würden wir gerne vergessen. Wir machen so einiges mit und vielleicht fragen wir uns manchmal, wie wir es eigentlich heil aus einer schwierigen Zeit herausgeschafft haben.
Und dann ist da plötzlich dieser Moment, in dem die Zeit kurz stillzustehen scheint. Dieser eine Moment, der uns kalt erwischt.
Da geht etwas zu Bruch, was vorher ganz war. Eine Verletzung, eine Enttäuschung, oder ein Verlust. Dieser liebe Mensch, der plötzlich nicht mehr da ist.
Dann fühlt es sich an, als ob etwas in uns zerbricht. Da sind nur noch Scherben, Lücken und Risse, die nicht mehr gefüllt werden können.
In Japan gibt es eine Kunstform, die arbeitet wortwörtlich mit Zerbrochenem und mit Scherben. Kintsugi heißt sie. Zerbrochene Schalen, Teller oder Tassen werden dabei kunstvoll und mit Liebe wieder zusammengesetzt. Dabei werden die Risse nicht versteckt, sondern die Bruchlinien werden mit goldener Farbe ausgefüllt.
Das, was kaputt war, wird nicht versteckt, sondern hervorgehoben. Dadurch entsteht ein neues, ganz besonderes Ganzes, das Geschichten vom Leben erzählt. Das, was war, leuchtet nun in neuem Glanz.
So ähnlich stelle ich mir das auch bei Gott vor.
Ich glaube: Gott macht unsere Brüche und Verletzungen nicht unsichtbar. Doch er lässt uns mit den Scherben auch nicht allein. Gott lässt durch unsere Risse Licht und Hoffnung leuchten und hilft uns, Stück für Stück, neuen Mut zu fassen.
Am Ewigkeitssonntag halten wir Gott unsere Schmerzen und Risse hin. Wir denken an die, die gestorben sind und uns fehlen. Wir hoffen darauf, dass sie gut aufgehoben und ihre Geschichten nicht verloren sind. Und wir suchen Trost – in der Hoffnung, dass Gott unsere Risse mit Liebe füllt und uns Kraft schenkt für alles, was ist und was kommt.
Tabea Frinzel, Pastorin in Flachsmeer