Gedenktag 27.1.24

Foto: Wikimedia Commons / Bundesarchiv, Bild 183-N0827-318; CC-BY-SA 3.0.

Heute vor vor 79  Jahren, am 27. Januar 1945,  standen die sowjetischen Befreier vor dem Konzentrationslager Auschwitz. Für die Gefangenen war das eine Erlösung.  „Gott sei Dank“, möchte man sagen, nachdem dort Millionen Menschen gequält und ermordet worden waren. Aber vermutlich sagte keiner „Gott sei Dank“. Wenn man an Auschwitz denkt, sagt man meistens das Gegenteil: „Auschwitz zeigt, dass es überhaupt keinen Gott gibt.“ Denn was sich dort ereignete ist nicht nur ein Übermaß an Unmenschlichkeit. Es ist doch auch, so meinen viele, ein deutlicher Beweis, dass es einen „lieben“ Gott, dem das Wohl der Menschen – und besonders das Wohl der Menschen des jüdischen Volkes - am Herzen liegt, nicht  gibt. 

Ich glaube nicht, dass Auschwitz ein Beweis gegen Gott ist. Aber Auschwitz zeigt, was für ein Gott unser Gott ist – und was er mit uns und mit dieser Welt riskiert.

Ich bin mir sicher, dass Gott die Gräueltaten von Auschwitz nicht wollte. Ich glaube aber auch, dass er sie hätte verhindern können. Aber er hat es nicht getan. Unterlassene Hilfeleistung ist das mindeste, was man ihm deswegen vorwerfen kann  - wenn nicht Schlimmeres. Und das übrigens nicht zum ersten Mal. Denn das scheint typisch für Gott zu sein, dass er menschliche Grausamkeit nicht verhindert. Oder wenigstens nicht so handelt, wie wir es erwarten und ersehnen. Wir sehen das in diesen Tagen erneut mit Entsetzen:  zu was die Menschen in der Lage sind, wenn es darum geht, böse zueinander sein. Und Gott lässt das zu?

Am deutlichsten wird das wohl bei Jesus: Der wird verhöhnt und verspottet, gequält und gefoltert und ans Kreuz genagelt – und Gott lässt ihn hängen. Jesus betet, nein, er schreit am Kreuz um Hilfe. Aber Gott bleibt, scheinbar, stumm und unsichtbar – und Jesus stirbt. Das ist typisch Gott: Gott greift nicht ein, wenn Menschen anders handeln und anders behandelt werden, als Gott es will. Gott lässt es zu, dass seine Gebote mit Füßen getreten werden. Gott riskiert es, sich lächerlich zu machen und schwach und sinnlos zu wirken. Und Gott riskiert, dass Menschen seinetwegen verzweifeln. Warum das alles?

Weil Gott will, dass wir frei sind. Gott will, dass wir uns frei entscheiden können und nicht wie Marionetten an himmlischen Fäden zappeln. Gott nimmt dafür das gewaltige Risiko in Kauf, dass wir uns gegen ihn entscheiden. Und dass wir uns damit gegen die Menschlichkeit entscheiden. Vielleicht überfordert uns Gott mit dieser Freiheit? Man mag das häufig denken. Aber ich hoffe es nicht. Ich hoffe, dass immer wieder Menschen sich darauf besinnen, was Gott von uns will. Und danach handeln.

 

Martin Sundermann

Pastor in Langholt